VIER war ein Projekt am Kölner Albertus-Magnus Gymnasium im Rahmen der dortigen TheaterMedien Klasse. Über ein Jahr arbeiteten 4 SchülerInnen an einem Stück.
Der untenstehende Text ist der Druckfassung (endless sky publications http://www.endlesssky.eu/VIER.htm) des Stückes voransgestellt und gibt einen Einblick in die Arbeitsweise und Entstehung der Inszenierung.
(....) Am Anfang stand mein Bedürfnis nach einer offenen Arbeit. Es war der Wunsch, nicht gleich ein Thema zu haben oder einen Text, mit dessen Hilfe wir uns im Projekt treffen, sondern die Herausforderung, eine persönliche Verbindung untereinander in der Arbeit zu suchen.
Als Ausgangssituation begannen wir ohne Text, Rollen oder Thema im leeren Raum zu arbeiten. Dieser Raum ist eine klar abgegrenzte Spielfläche, die wir „das Feld“ nennen. Wir stellten die Aufgabe, in diesem Feld ausschließlich den eigenen Körper-Impulsen zu folgen: Hüpfen, sitzen, gehen, springen, liegen, Kontakt haben, ausschließlich auf sich bezogen sein – es gab keinerlei Beschränkung im Ausdruck. Auch ein „Nicht-Agieren“ war möglich, solange alle im Feld eine innere Wachheit behielten
Wir vereinbarten, jede Sequenz mit einem deutlichen Betreten der Spielfläche zu beginnen und ein Ende über ein deutliches Heraustreten zu signalisieren. Auch setzten wir eine Zeit fest (meistens 30 Minuten), die wir genau einhielten. Im Rahmen dieser äußeren Struktur war alles möglich.
Das haben wir über einige Wochen so praktiziert, trainiert und damit Erfahrungen gesammelt. Nach anfänglicher Scheu und Zurückhaltung wurden die SpielerInnen immer mutiger, expressiver und gleichzeitig differenzierter und feiner im Ausdruck. Auch der anfängliche Versuch, etwas „darzustellen“, wich immer mehr einem Ausdruck aus der eigenen Persönlichkeit heraus. Manches Mal haben wir diese Proben unkommentiert stehen lassen, und ein anderes Mal tauschten wir uns über das Erlebte und Gesehene aus.
Auf diese Art sammelten wir einen Pool kleinster Szenen und Begebenheiten oder Begegenungen. Neben surrealen und höchst witzigen Szenen und Situationen entstanden auch berührende Momente großer Privatheit. Zudem stieg das Zutrauen der Schauspieler in ihre eigene körperliche Präsenz, die ohne jeden Text auskommen konnte.
Nach einiger Wochen begann dann parallel die Arbeit am Text. Die Themen zu den Texten habe ich intuitiv unter dem Eindruck der erlebten Probe gestellt, und sie bestanden meist nur aus einem Wort. „Körper“ zum Beispiel oder auch „Aufstehen“. Erklärungen gab es dazu keine. Zur nächsten Probe mußte dann ein Text beliebiger Länge geschrieben sein. Wir einigten uns darauf, dass es auch hier keine Beschränkung in Stil oder Form geben sollte. Es konnte also assoziativ geschrieben werden oder eine beliebige Form als Struktur (Lied, Monolog, Dialog) gewählt werden. Ich hatte das eigentlich nicht geplant, aber begann eines Abends selber das Schreiben. Das funktionierte ganz gut, und ich habe das dann beibehalten und meine Texte in die Materialauswahl einfließen lassen.
Ich hatte dem Ensemble bereits vor dem ersten Schreiben gesagt, das wir die Texte später bearbeiten, vermutlich kürzen und sicher auch verwerfen müssen und war überrascht, daß das von allen so akzeptiert wurde und auch in der späteren Arbeit nie Thema war. So haben wir später zwar um Formulierungen und Inhalte gekämpft, was aber nie von persönlicher Eitelkeit getragen war.
Mit den entstandenen Texten, meist in Monologform, haben wir dann szenisch gearbeitet. Ich fing an, unser Material in Dialogform zu bringen und zu ordnen. Das haben wir dann auf der Probe ausprobiert und entweder verworfen oder erst einmal für gut befunden. Die Art des Schreibens, die uns zu Beginn noch holprig schien, wurde flüssiger, mutiger und persönlicher. Die schulische Bewertungshaltung schon im Schreibprozeß wich einer immer subjektiveren und damit auch theatraleren Form des Schreibens.
Parallel entwickelten wir Bewegungsfolgen nur zu Musik oder collagierten Szenen miteinander. Wir brachten sie in einen Ablauf, erarbeiteten organische Übergänge, erfanden, verwarfen und erfanden neu. Wir schrieben weiter Texte und es schien mir manchmal, als hätten wir ein Fass geöffnet und müßten es nur am Sprudeln halten .
In der Erarbeitung von Rollen und Figuren auf dem Hintergrund eigenen Materials gibt es einen immens wichtigen Punkt: Nämlich den Moment, wo es Zeit ist, das Private zu verlassen und aus dem Angebot der eigenen Ideen und Gedanken eine Figur zu finden. Genauer muß ich sagen: Aus dem Reichtum der Angebote eine Figur zu filtern, mit der man dann weiter arbeiten kann. Das muß so frühzeitig geschehen, daß ausreichend Zeit bleibt, um mit dieser Figur zu arbeiten und sie weiter formen zu können. Es darf nicht zu früh sein, um diese „Abnabelung“ der eigenen Persönlichkeit von der Rolle möglich zu machen.
Wir haben das im Rahmen einer mehrstündigen Probe gelöst, auf der wir über Rückmeldungen und ausführliche Feedbacks den Charakter beschrieben, den wir beim anderen sehen. Dabei vermieden wir Interpretationen und beschränkten uns auf das, was wir sahen oder anderweitig wahrnahmen. Am Ende des Nachmittags hatten wir jeden der Vier auf einige wenige Attribute „zusammen geschmolzen“. Ich glaube mich zu erinnern, das wir hier auch entschieden haben, den Figuren die Namen der Schauspieler zu geben. Das war ungefähr 2 Monate vor der Aufführung.
Die weiteren Proben gestalteten sich wie bei jedem anderen Theaterprojekt: Wir hatten Text und Figuren, Bewegungssequenzen und Spielszenen, zu denen aber eine starke persönliche Bindung bestand.
Rainer Conrad